Lieferketten-Aus: Die Rückkehr der Vernunft?

Als die deutsche FDP letzte Woche ihr “Nein” gegenüber der jetzigen Fassung der EU-Lieferketten-Richtlinie (CSDDD) äußerte, ging eine gewisse Erleichterung durch Teile der Wirtschaft, Vorstandsetagen und Aktionärsgruppen. War doch damit klar, dass die deutsche Regierung ihr “Ja” in eine “Enthaltung” bei der Abstimmung zur Richtlinie ändern würde. Wirtschaftsminister Martin Kocher und weite Teile der ÖVP schwenkten ein und bekräftigten die Enthaltung Österreichs. Die EU-Entscheidung wurde mithin vertagt. Es herrscht Streit. Die Grünen sind muffig – auch wenn es sich nicht um eine ausgewiesene linke Richtlinie handelt. Die Opposition sowieso.

Vorweg: Diesen Kritikern ist zuzugeben, dass eine einheitlich europäische Regelung Vorteile hätte. Muss sich doch nicht jeder EU-Staat Gedanken zu Anforderungen an die Wertschöpfungskette, Haftung oder Durchsetzung machen – ähnlich wie in Deutschland, wo ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits existiert. Ein Flickenteppich wäre vermieden, auch wenn eine Art Wettbewerb des “schwächsten” Rechts generell zu erwarten ist. Aber der Tritt auf die Bremse ist nachvollziehbar. Viele Nachhaltigkeitsregelungen, insbesondere bei Umwelt- und Berichterstattung, stehen erst vor dem Erreichen einer breiten Wirtschaftsschicht. Noch sind oft nur Großkonzerne betroffen, Mittelständler oder KMUs jedoch nicht. Aktionäre weltweit kennen diese Entwicklung mittlerweile gut. Die Materie ist komplex, bringt keinen Ertrag und verschlingt Ressourcen. Ressourcen, die im harten Wettbewerb, bei hohen Zinsen, massiver Steuerlast und galoppierender Bürokratie dringend woanders gebraucht werden. Überzeichnete Haftungsübernahmen für Zulieferer in einer globalisierten Wirtschaft stehen dort ebenso wenig im Kurs, wie die Schulung in europäischen Moralstandards. Standards, die oft als Einmischung in nationale Angelegenheiten oder schlichte Arroganz interpretiert werden. Sowas sollte sich eine schwächelnde europäische Wirtschaft nicht erlauben. Der Stopp zeugt von diplomatischer Vernunft.

Wie geht es weiter? Es soll nachgebessert werden. Das kann zur langfristigen Ablage im Archiv führen, sollte es aber nicht. Eine Vereinfachung beispielsweise mit einer Art Ampel wurde mehrfach bereits ins Spiel gebracht. Keep it simple!

Die avisierte Lenkungswirkung der Richtlinie hilft im weltweiten Spiel der geopolitischen Herausforderungen. Während marktwirtschaftliche Demokratien weitgehend problemlos mit dieser Richtlinie umgehen werden können, wird es in autokratischen Systemen zu Erklärungsbedarf kommen. Ein gewisser moralischer Protektionismus geht damit einher. Der Schutz von Umwelt und Arbeit hat in Europa tiefe Wurzeln, andere Staaten sehen die Themen zuweilen anders. Eine Regelung zu entwickeln, die diplomatisch eine Selbsterkenntnis fördert, ohne eine Anklage zu schaffen, ist die spannende Aufgabe.

Im Börsen-Kurier Nr. 8 am 22. Jänner 2024 veröffentlicht von:

Florian Beckermann

1130 Wien, Feldmühlgasse 22
Tel. +43-1-8763343-0
Fax. +43-1-8763343-49
florian.beckermann@iva.or.at