Virtuelle HV: Zadics “Grünes” Eigentor?

Kapitalmarktaffinität gehört bisher nicht zu den wesentlichen Neigungen des Justizministeriums von Alma Zadic (Die Grünen). So verwundert es nicht, dass die Digitalisierungskampagne des Staatssekretärs Florian Tursky (ÖVP) im Justizressort Kratzer hinterlässt. Dass die Ministerin dafür die eigene Glaubwürdigkeit und fundamentale Kernbotschaften der Grünen riskiert, überrascht jedoch sehr! Süffisant schmunzeln Lobbisten über das avisierte Eigentor in Sachen virtuelle Hauptversammlung.

Warum? Springen wir zurück in die neuliche OMV-Hauptversammlung: Eine internationale Bühne. Nicht nur für die globale Energiepolitik, sondern auch für die ökologische Transformation in der Praxis. Kein Wunder also, dass wichtige Interessenvertreter auf der Versammlung Aktionärseindruck erzielen wollten; beispielsweise durch den konstruktiven Debattenbeitrag innerhalb der Hauptversammlung. Letzteres gelang durch Nationalratsabgeordnete der Grünen oder dem Vertreter von Greenpeace. Wie wichtig der direkte Austausch mit Vorstand und Aufsichtsrat war, konnten sie am eigenen Leib erleben. Letztlich wurden grüne Kernthemen am Entscheidungsort platziert.

Geht es nun nach den rechtlichen Plänen Zadics zum Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung, wird alles ins Internet verbannt. Selbst die kleinste Provokation oder simpler Gegenwird wird Anlass bieten, die Aktionäre zu “schützen” und eine rein virtuelle HV abzuhalten. Rauswurf der Vielfalt, Behinderung der Rede- und Auskunftsrechte, Minderheitenrechte ausgehebelt. Die rechtssichere Hauptversammlungskultur Österreichs wird systemisch beendet.

Was so gar nicht nach “grün” klingt, kann sich zum Eigentor für Zadic entwickeln: Ob “Realpolitik” oder “Lobbymeisterstück”, es bedarf einiger Phantasie eine vernünftige Juristin dermaßen an den realen Kapitalmarktgegebenheiten vorbei zu schleusen. Nicht nur stellen “Grünwähler” nach der letzten Aktienbarometer-Umfrage mit ca. 40 % den größten Aktiensparer-Anteil in Österreich, sondern schädigt sie auch ihre Glaubwürdigkeit. Unter dem Strich: Eine grüne Ministerin fördert die Abschaffung von Minderheitenrechten. Fundamentale Diskurswerte der Grünen erodieren direkt mit – möglicherweise gegen die eigene Wählerschaft.

Doch noch läuft das Gesetzgebungsverfahren. Die Gesetzesvorlage ist entsprechend zu diskutieren. Die Erkenntnis, dass die Hauptversammlung einer börsennotierten Aktiengesellschaft nicht rein virtuell sein darf, muss innerhalb der Regierung gewonnen werden. Die ÖVP ist sohin gleichermaßen gefragt, will man Österreich nicht weiter ins digitale Schmuddeleck abdriften lassen. In dem Punkt muss man Tursky einfangen. Nicht alles, was aus Deutschland kommt, muss man machen.

Im Börsen-Kurier Nr. 24 am 15. Juni veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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