Virtuelle HV: Flucht vor den Aktionären ins Internet?

Mit dem Auslaufen der gesellschaftsrechtlichen COVID19-Verordnung zur Mitte des Jahres, nimmt die Diskussion um die digitale Zukunft der Hauptversammlung wieder Fahrt auf. Soll eine virtuelle Austragungsmöglichkeit geschaffen werden, die eine Präsenzveranstaltung ersetzt? Eine Vielzahl von Streubesitzaktionären von Publikumsgesellschaften sagt hier klar: Nein. Eine IVA Umfrage zeigte über 70%. Eine Notverordnung sollte nicht grundlegende Aktionärsrechte erodieren oder die Abschaffung vorbereiten. Doch in der Szene unkt man: Unter dem Mäntelchen der digitalen Innovation plant man den Tech-Maulkorb für Aktionäre. Eine Flucht vor den Aktionären in den Elfenbeinturm wird vorbereitet – man schielt nach Deutschland zu ähnlichen Ideen.

Die Seuchen-Notgesetzgebung hat die aktive Teilnahme von Aktionären an der HV reduziert. Ein eindeutiger Qualitätsverlust. Viele haben sich daran gewöhnt, eine HV im Internet zu verfolgen und voten zu lassen – ein komfortabler Effekt. Doch diese Praxis bedeutet nicht, dass man auf das gesunde Korrektiv der Präsenz-HV außerhalb einer Pandemie verzichtet. Die physische Hauptversammlung stellt grundsätzlich die einzige Möglichkeit für den Streubesitz dar, sich persönlich mit dem Management und den anderen Aktionären auszutauschen, justizable Informationen zu erhalten und belastbare Anlageentscheidungen zu treffen. Gerade dies unterscheidet die HV vom Investoren-Call oder einer Marketingveranstaltung!

Es sollte zu denken geben, dass gerade Geschäftsmodelle im Halbschatten die persönliche Begegnung mit Aktionären und der Presse scheuen. Die heimischen Skandale der Vergangenheit zeigen, dass ein erhöhter Transparenzbedarf besteht. Durch die vermehrte Dominanz von Hauptaktionären in Österreich ist die Gleichbehandlung von Aktionären bei Informationen ohnehin stark asymmetrisch. Die Asymmetrie würde verstärkt und den Marktplatz weiter schwächen. Die Frage muss erlaubt sein: Können wir es uns erlauben, ohne Not, den Marktplatz zu verschlechtern? Wäre nicht ein „mehr“ an Transparenz und Aktionärsrechten der richtige Weg? Auch hapert es an der technischen Umsetzung: Noch gibt es kaum technisch-bedingte Anfechtungen von Hauptversammlungsbeschlüssen. Das technische Beschränken von Eigentums(kontroll)rechten ist keinesfalls hinnehmbar. Die Diskussion läßt sich um vielerlei Argumente erweitern. Der IVA setzt sich für eine moderne Lösung auf Basis der Präsenz-HV ein. Der Aktionär soll selbst entscheiden, ob er physisch in die HV gehen mag und aktiv seine Rechte wahrnimmt, oder die Versammlung im Internet verfolgt.

Veröffentlicht im Börsen Kurier am 28. März 2022 von:

Florian Beckermann

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