Virtuelle Hauptversammlung: Das Leiden soll weitergehen

Eine Hauptversammlung ist oft der Höhepunkt eines Geschäftsjahres. Man präsentiert den Aktionären die Ergebnisse. Nicht ohne Stolz. Wenn es einmal kritisch kommt, wird die Sache gescheit ausgesprochen. In Österreich streitet man selten, der Friede überwiegt. Die Präsenz-HV ist ein heimisches Symbol für Transparenz, Demokratie und Minderheitenrechte mit Tradition – für alle. Digital affin oder nicht.

Doch die Realität hat sich seit bald zwei Jahren hiervon weg entwickelt. Zunächst aus Furcht vor Covid19 hat man sich in die virtuelle HV-Welt zurückgezogen. Was während der Pandemie noch irgendwie nachvollziehbar war, wirkt heute sinnfrei. Viele Aktionäre haben die Nase voll vom lebsolen Online-Leid.

Wie den Parlamentsmaterialien zu entnehmen ist, plant die Regierung die gesellschaftsrechtliche Covid19-Gesetzgebung – und damit die vage Rechtsgrundlage zur virtuellen HV – weiter bis Ende Juni 2023 zu verlängern. Angesichts von meist knapp zweistelligen HV-Teilnehmerzahlen fragt man sich ernsthaft, warum? Wieso sollte ein Aktionär grundsätzlich auf sein direktes Recht von Aufsichtsrat und Vorstand Rechenschaft zu bekommen verzichten? Wem nützt es? An den Kosten kann es nicht liegen. Internationalität ist nicht vorhanden.

Schon warnen die großen, internationalen Stimmrechtsberater wie ISS vor der virtuellen HV: Das Thema ist keineswegs unproblematisch. Die Missbrauchsmöglichkeiten reizen die Szene. Manch einer fühlt sich an Zeiten erinnern, wo HVs auf Kanalinseln oder im muffigen Hinterzimmer zur Unzeit abgehalten wurden. Auch digitale Halbdunkel sind für manche Klientel verlockend.

Aus der Sicht des IVA sollte eine Lösung gefunen werden, die dem Aktionär die Möglichkeit lässt, ob er physisch kommen mag oder virtuell teilnimmt. Diese Lösung ist inklusive und macht die HV nicht zum exklusiven Computerspiel. Basis muss allerdings die Präsenz-HV sein. Nicht nur aus Tradition, sondern auch aus Rechtssicherheit.

Veröffentlicht im Börsen Kurier am 7. Dezember 2022 von:

Florian Beckermann

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