Unter dem Weihnachtsbaum der österreichischen Anleger

Die besinnliche Zeit des Jahres hat ihr Gutes. Man erinnert sich gern an die glücklichen Dinge. Mitunter liegen einige Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Ohne auf den Jahresrückblick vorgreifen zu wollen, muss man aus Anlegerschutzsicht bereits heute auf Präsente hinweisen: Die Ausschüttungsbeträge der heimischen Unternehmen waren sehr gut. Ein starkes Dividendenjahr geht zu Ende. Herausragend, weil so ungewöhnlich, ist die (Teil-)Abschaffung der “Kalten Progression” durch Finanzminister Magnus Brunner. Der Platz im Steuergeschichtsbuch ist ihm sicher – die historische Einordnung wird sich zeigen. Positiv auch, dass vielerorts eine Sonderdividende zur Befriedung der (energie-)politischen Begehrlichkeit zugunsten aller Aktionäre gewählt wurde. Die Abschöpfungssteuer und Energiepreisbremse bleiben dennoch streitbarer Schmarrn.

Aus der Sicht der Kapitalmarkthygiene freuen sich viele Aktionäre über die zügige Aufarbeitung des Wirecard-Falls. Das Urteil des zuständigen Gerichts in München bleibt einstweilen offen. Jedenfalls hilft der zeitnahe Prozess dem Kapitalmarktvertrauen ungemein. Leider gelingt es in Deutschland und nicht in Österreich. Fälle gäbe es genug. Einen gewissen Charme entfaltet ebenso das gescheiterte Votum Elon Musks über seinen Twitter-CEO-Verbleib. Was aus Governance-Sicht längst als “sonderbar” galt, klatschte Musk aus Twitter-Nutzersicht nun ins Gesicht: “Nein!” Die Akzeptanz für drastische Eingriffe in ausgewogene Systeme ist endlich. Die Liebe für den leuchtenden Eigenkapital-Unternehmer erlischt, wenn andere seiner Willkür ausgesetzt scheinen. Es sollte zu denken geben.

Traurig wird der heimische Anleger, wenn er bedenkt, was unter dem Weihnachtsbaum alles hätte liegen können! Hinweisgeberschutz oder KESt-befreiende Behaltefrist sind beinahe Klassiker. Aber auch bei Ökologisierung und Digitalisierung ist Luft nach oben.

Inflation-, Zins- und Energiepreiswellen weisen auf den Zukunftsritt 2023 hin. Der EU-Regulator bietet eine Zwangsjacke als Hilfestellung. Unternehmen und Anleger kämpfen mit den internationalen Märkten und erklären der Republik das Notwendigste – nicht umgekehrt! Anstatt Österreichs Zukunftsfähigkeit anzugehen, offeriert man eine Realitätsflucht durch eine “Grüß Gott”-Diskussion, Schengen-Blamage oder andere Mottenkisten-Themen. Der Zoff unterm Weihnachtsbaum ist mit Politik – wie immer – leicht zu erreichen. Frohes Fest!

Veröffentlicht im Börsen Kurier am 22. Dezember 2022 von:

Florian Beckermann

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