Risse der offenen Leistungsgesellschaft

Aktuell wird auf dem politischen Parkett die Leistungsgesellschaft propagiert. Parteien platzieren ihr ideologisches Verständnis. ÖVP und Neos sind hörbar – zur Abgrenzung zu Andreas Bablers Sphäre in der SPÖ. Kernaussage: Leistung muss sich in Österreich lohnen. Wobei weder sicher ist, was “Leistung” noch “Lohnen” sein soll. Schon kampagnisiert die Industriellenvereinigung gegen eine Schnüffelsteuer (= Vermögenssteuer), die “leistungslos” Vermögen taxiert. Ohne eine Sozialstaatsdebatte anzustoßen, stellt sich die Frage: Findet sich die Frucht der Lebensarbeit in der finanziellen Wohlfahrt der Österreicher wieder? Beispielhaft: Das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen liegt bei rund 32.000 € – zum Beiseitelegen bleibt dort nicht viel. Die sichere Rente ist dünn. Der Pensionsantrittszeitpunkt entscheidet mitunter über die Höhe. Populär sind Immobilien: Nach den nationalen Kreditvorgaben für die Immobilienfinanzierung benötigt man für einen Einfamilienhauskauf in Höhe einer halben Million ein Jahresbruttoeinkommen von über 90.000 €. Ein minimaler Anteil der Bevölkerung kann da mitgehen. Nahezu utopisch agieren bekanntlich die Sparer. Perfide: Die Sparbuchzinsen haben noch nicht das Niveau der EZB erreicht. 27,5 % KESt wird beim Aktiensparer abgefischt – ein hoher Wert. So denn fragt sich eine Generation: Wofür soll man überhaupt leisten? Die Lücke zur finanziellen Freiheit ist für viele ein Marianengraben. Eine gewisse Unzufriedenheit lässt sich konstatieren. In Frankreich eskalieren die jungen Abgehängten. Eine deutsche AfD arbeitet mit Bürgerwut. Woanders ist Steuerhinterziehung Volkssport. Der Staat wird zum Gegner.

In der “offenen Gesellschaft” des Philosophen Karl Popper erreicht das Individuum durch Leistung den sozialen, wirtschaftlichen Aufstieg. Eigenverantwortlich. Barrieren zu Erwerb und Bildung sind niedrig. Das Vertrauen in den unverrückbaren Rahmen der liberalen Demokratie schafft die Leitplanken für Wandel und Erfolg. Wandel vor dem sich Poppers Feinde der Gesellschaft (Platons Oligarchie, Karl Marx’ totalitäres Kollektiv oder der Faschismus) so fürchten. Oft im populistischen Gewand wird der liberale Rahmen von verschiedenen Neigungsgruppen marodiert. Proporzdenken, Freunderlwirtschaft – nicht nur von außen gesehen leistungsfeindlich. Fürsprecher aus der Mitte sind still, sie müssen arbeiten. Symptom: Fachkräftezuwanderung gelingt nicht. Bleibt auch für heimische Leistende nichts auf dem Konto hängen, nimmt die Erwerbsquote ab. Das Unternehmertum schwindet. Die Abwärtsspirale dreht sich schneller. Ein wirtschaftlicher und ethischer Riss vergrößert sich. Soll die Vertrauenskrise der Mitte nicht zur Welle werden, sind mehr als nur Bekenntnisse zur Leistungsgesellschaft erforderlich. Ein ganzheitliches Besinnen auf die systemischen Eckpfeiler und deren Stärkung wird zum Muss. Die Schaffung des Nährbodens für breite Bildung, wirtschaftliche Innovationskraft, privaten Erfolg, soziale Verantwortung und letztlich die finanzielle Freiheit sind Anforderungen an die politische Glaubwürdigkeit. Dann entwickelt sich eine Leistungsgesellschaft, in der sich Leistung auch lohnt und messbar wird.

Im Börsen-Kurier Nr. 27-28 am 06. Juli veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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