Mehrstimmrechtsaktien: Vorschläge bescheren Sorgenfalten

Die Schaffung von Mehrstimmrechtsaktien auf europäischem Parkett in harmonisierter Form war gesetzter Plan der vergangenen EU-Ratspräsidentschaft Schwedens. Nach heimischem Vorbild soll auch auf EU-Ebene eine Struktur geschaffen werden, die es KMUs ermöglicht, an Gelder des Kapitalmarktes zu gelangen. Um diesen sinnvollen Fortschritt zu erreichen, wurde die “Multiple Voting Share Directive” (MVSD) auf den Weg gebracht. Die Idee: Durch die Schaffung einer Aktiengattung, die mit größerem Stimgewicht ausgestattet ist, erleichtert man es Unternehmern Kapital aufzunehmen, gleichzeitig jedoch relative Macht im Unternehmen zu erhalten.

Dänemark und Schweden haben ein solches System. Die Kapitalmarktorientierung von KMUs in diesen Ländern wird immer wieder als Beleg für die Funktionstüchtigkeit angeführt – nicht jeder glaubt an diese Kausalität. In Deutschland sind solche Strukturen gesetzlich explizit verboten. In Österreich sind sie nur noch vereinzelt zu finden, beispielsweise in Form von “Golden Shares”.

Der internationale Kapitalmarkt vertritt “one-share-one-vote” und setzt damit den Marktstandard. Mehrstimmrechtsaktien sind hier ungeliebt, ja die Aura der Intransparenz umgibt sie. Viele Assetmanager dürfen nicht in solche Unternehmen investieren. Internationale Governance-Setzer, Investorenvereinigungen und der IVA hatten sich mehrfach dagegen ausgesprochen.

Um die Idee nicht zur Totgeburt in der Praxis werden zu lassen, ist es in der gesamten Diskussion um Mehrstimmrechtsaktien immens wichtig, eine Balance zwischen Kapitalinteresse, Minderheitsrechten und Transparenz zu finden. Doch die politische Debatte ist noch in einer intensiven Phase: Nach dem Entwurf durch die Ratspräsidentschaft hatte sich das Europaparlament geäußert. Diese Woche beginnt der sogenannte Trilog zwischen den Institutionen.

Einer der Streitpunkte: Entgegen der Beschränkung dieser Aktiengattung auf ein Marktsegment, den “European Growth Market” (“Wachstumsmarkt”; in Österreich nicht existent), soll nun das System, zwar mit zahlreichen Einschränkungen in den Mehrstimmdetails, jedoch für alle (!) Marktsegmente gelten. In gewissem Sinne eine Verböserung der Situation für potenzielle Investoren.

Massive Gefahr sehen viele im “Race to the bottom”: Wird eine eher laxe Mehrstimmrechtsaktien-Struktur geschaffen, könnte in den Mitgliedsstaaten ein Rennen entstehen, in welchem durch extrem-geringe Standards möglichst viele Listings erreicht werden sollen. Man muss kein Hellseher sein, um zu verstehen, dass damit weder eine Harmonisierung geschaffen wird, noch die Reputation des europäischen Aktienmarkets gestärkt werden kann. Eher das Gegenteil.

Im Börsen-Kurier Nr. 47 am 23. November veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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