Virtuelle HV im Dauerrecht

Virtuelle HV im Dauerrecht  – Zwangsdigitalisierung gefährdet Aktionärsrechte

Justizministerin Alma Zadić (Die Grünen) hat einen Ministerialentwurf zum „Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz“ (VirtGesG) für das Dauerrecht vorgelegt. Insbesondere die Regelung der Abhaltung von virtuellen Hauptversammlungen (HV) von börsenotierten Publikumsgesellschaften wird vom IVA bekämpft.

„Die Zwangsdigitalisierung gefährdet Aktionärsrechte in Österreich nachhaltig“, so IVA-Vorstand Florian Beckermann, „der Entwurf ist realitätsfremd und basiert nicht auf den Fakten aus der Pandemiezeit. Von einer „bewährten Praxis“ oder Rechtssicherheit ist man mit dem vorgestellten Entwurf weit entfernt.“

Extrem niedrige Teilnehmerzahlen haben die virtuelle COVID-19-HV gekennzeichnet, verkürzte Transparenz- und eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten sowie nicht zuletzt mannigfaltige Missbrauchsmöglichkeiten verärgerten viele Aktionäre. Der kurze Gesetzentwurf mit lediglich sieben Paragrafen stellt sich den Problemstellungen in der Praxis nur lückenhaft. Die Hauptpunkte:

Luftschloss: Schwellen unrealistisch

Die virtuelle Option soll über eine Satzungsmehrheit (75%) für fünf Jahre erfolgen und in der Satzung verankert werden. Der im physischen HV-Format gemäß Aktiengesetz innewohnende Minderheitenschutz wird auf diesem Wege ausgehöhlt. Die Satzungsmehrheit ist für die meisten Kernaktionärsgruppen leicht zu erreichen, sie zu verhindern für die Minderheit in der Regel dagegen unerreichbar.

Nahezu fiktional  – und im Hinblick auf die Realität der Kleinaktionäre nur noch zynisch zu nennen  – ist die vorgeschlagene Regelung der „Präsenz-Schutzschwelle“. Mit 10% des Grundkapitals kann die nächste ordentliche HV in physischer Form verlangt werden. Der Entwurf weist damit eindeutig auf die Gefährlichkeit der virtuellen HV hin, versäumt es aber eine realistische Schwelle einzuführen. So wäre beispielsweise bei der Erste Group aktuell ein Kapital von 1,4 Mrd. EUR nötig, um diese Hürde zu nehmen. Weitere administrative Hürden kommen noch dazu. Ein minderheitenfeindliches Schutz-Luftschloss ist dann das Ergebnis.

Technische Unsicherheiten – keine Beschlussberatung möglich

Erschwerend kommt die technische Umsetzung hinzu. Eine Echtzeitverbindung ist aufwendig, eine Videokommunikation höchst problematisch. Aktuelle Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass Unterbrechungen (und damit HVs über 8 Stunden) zum ungewollten Standard zu werden drohen. In Österreich ist mit Teilnehmerzahlen im niedrigen zweistelligen Bereich zu rechnen, die Kosten werden sich verdoppeln. Vor allem aber können sich Aktionäre nicht mehr im Rahmen der HV miteinander beraten, um Ihre Beschlüsse gemeinschaftlich vorzubereiten. Dies trifft aber den Wesenskern der HV negativ!

Interessenkonflikt des Vorstands

Natürlich entsteht ein Interessenkonflikt, wenn der rechenschaftspflichtige Vorstand die Form der Versammlung bestimmt. Man stelle sich nur vor, ein Parlament würde auf Zuruf virtuell tagen. Die Opposition zu umstrittenen unternehmerischen Entscheidungen wird massiv beschnitten. Elfenbeinturm-Management wäre die Folge. Dass der Vorstand die Interessen der Aktionäre (und sohin auch ihre technische Ausstattung) bei der Wahl des Formats angemessen zu berücksichtigen hat, wird sich wohl nur auf dem Klagswege prüfen lassen. Die verfassungsmäßige Überprüfung solcher und ähnlicher Fragestellungen ist übrigens bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem VfGH.

Lichtblick hybride Hauptversammlung

Trotz der Kritik am Entwurf sind durchaus positive Elemente anzumerken. Interessant ist die Vorgabe eines hybriden Formats, das dem einzelnen Aktionär die Wahl lässt, wie er an der HV teilnehmen möchte. Darin sehen wir die einzig zukunftsorientierte Form einer HV bei der börsenotierten Publikumsgesellschaft. Auch die Regelung von zumindest zwei besonderen Stimmrechtsvertretern ist sinnvoll.

IVA-Fazit

Die virtuelle HV-Option in dieser Form ins Dauerrecht zu übernehmen, ist weiterhin ein Irrweg. Praxisferne Schutzregeln scheitern an der Marktrealität und sind vieles, nur kein Schutz. Die positive HV-Kultur in Österreich wird ohne Not beschädigt. Bei einer Aktionärsquote von 25% in Österreich trifft dies sicher keinen kleinen Bevölkerungsanteil. Die rein virtuelle HV für Publikumsgesellschaften muss in dieser Form abgelehnt werden. Unter dem Deckmantel der Digitalisierung wird die Ausübung von Aktionärsrechten erschwert.

Stand der parlamentarischen Begutachtung unter:
https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/271

IVA-Stellungnahme:
https://www.parlament.gv.at/PtWeb/api/s3serv/file/c1977bb7-a017-4de2-8dc7-76b8dae00107

Florian Beckermann

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