Ist die Entscheidung der Übernahmekommission, dass kein Übernahmeangebot von Bajaj an alle Aktionäre der Pierer Mobility gestellt werden muss, eine gute Nachricht? Wie ist die Situation aktuell einzuordnen, insbesondere da der Aktionär bisher von der gesamten Sanierung – Kursverluste ausgenommen – unbehelligt blieb?
Die Entscheidung der Kommission unterstreicht den aktuellen Trend: Das Übernahmerecht steht der Unternehmenssanierung selten entgegen. Die Gründe dafür sind vielfältig, für den Streubesitz sind sie strategisch nachteilig.
Das Spannungsfeld zwischen Insolvenz und vorinsolvenzlicher Restrukturierung bei börsennotierten Unternehmen ist von hoher Komplexität geprägt, da hier rechtliche, wirtschaftliche und kapitalmarktspezifische Interessen aufeinandertreffen. Eine Insolvenz stellt nicht nur ein rechtliches Verfahren dar, sondern hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen der Kapitalmärkte, den Unternehmenswert und die Position der verschiedenen Anspruchsgruppen. Für ein börsennotiertes Unternehmen bedeutet die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in der Regel einen massiven Reputationsverlust und den Einbruch des Aktienkurses auf null oder nahe dem. Gleichwohl kann die Insolvenz – insbesondere in Form einer Eigenverwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens – auch eine rechtlich geordnete Möglichkeit bieten, das Unternehmen zu sanieren und neu aufzustellen. Neues Kapital ist zwingend, warum nicht auch vom Streubesitz.
Im Gegensatz dazu zielt eine Restrukturierung darauf ab, eine Insolvenz zu vermeiden, indem frühzeitig operative, finanzielle und strategische Anpassungen vorgenommen werden. Der europäische Gesetzgeber hat hier in den vergangenen Jahren viele Möglichkeiten geschaffen. Das zentrale Spannungsfeld ergibt sich aus den widerstreitenden Interessen. Während Gläubiger gerne nach einer schnellen (harten) Lösung streben können (notfalls durch eine Insolvenz), suchen Aktionäre hingegen eine Verwässerung ihrer Beteiligung zu verhindern und den Aktienwert zu schützen. Wir sehen im Pierer-Mobility-Komplex eine Vielzahl dieser widerstreitenden Interessen berührt.
Im Rahmen der Rettungsmaßnahmen und Kapitalspritzen der Bajaj für die Tochter KTM und den Pierer-Mobility-Hauptaktionär wurden insolvenzähnliche Verwässerungsmöglichkeiten durch die Hauptversammlung gewährt. Mangels einer Beteiligung der Streubesitzaktionäre an der Sanierung ist dies verständlich – die Sanierung läuft gewollt am Streubesitz vorbei. Dem entgegen stand finanziell ein zwingendes – und durch die Übernahmekommission festgestelltes – Angebot, zu dem es jetzt nicht kommt. Die Übernahmekommission pflegt ihre Entscheidungen gut abzuwägen, dennoch verliert der Streubesitzaktionär eine Wertorientierung durch eine unabhängige Instanz und Bajaj eine mögliche kostspielige Nebenbedingung. Die erwartbare Verwässerungsentscheidung wird letztlich preisliche Klarheit bringen. Ob und wie deren Überprüfung dann vonstatten gehen könnte, ist offen. Einstweilen zeigt sich der Aktienkurs der Pierer Mobility unbeeindruckt.
Im Börsen-Kurier Nr. 44 am 29. Oktober 2025 veröffentlicht von:
Florian Beckermann
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