Beschlüsse am Aufsichtsrat vorbei

Das Treffen von Beschlüssen am Aufsichtsrat vorbei bedeutet in der Regel, dass der Vorstand Entscheidungen trifft, für die – laut Gesetz, Satzung oder Geschäftsordnung – eigentlich die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich gewesen wäre. Trotz der Klarheit ist das immer wieder ein Diskussionspunkt für Aktionäre: Geht das überhaupt? Konsequenzen?

Aufhänger ist die kürzliche Diskussion um die neue „Kapitalallokation“ des Vorstands der voestalpine. Der Gesamtaufsichtsrat wurde erst zwei Tage nach der Ad-hoc-Meldung dazu informiert – ein Graubereich des Möglichen. Nicht immer leicht zu entscheiden. Selbst scheinbare Standards können zu Streit führen…

1. Unternehmensakquisition ohne Zustimmung: Ein Vorstand beschließt den Kauf eines Unternehmens, obwohl die Satzung oder der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte vorgibt, dass der Aufsichtsrat zustimmen muss. Beispiel: Ein Vorstand eines ATX-Konzerns übernimmt ein vielversprechendes Start-up für 50 Mio€, obwohl ab 25 Mio€ die Zustimmung des Aufsichtsrats nötig ist. Der Wert des Start-ups liegt deutlich höher, ein sehr gutes Geschäft. Was tun?

2. Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte: Verkauf von Tochtergesellschaften, Immobilien oder Maschinenparks ohne Zustimmung. Beispiel: Ein Vorstand verkauft eine profitable Tochtergesellschaft, um kurzfristig Liquidität zu sichern, ohne den Aufsichtsrat zu informieren. Eine Rettungsmaßnahme in der Krise ist so denkbar. Falsch?

3. Dividenden und krumme Bilanzen: Im Fall Wirecard zeigte sich besonders deutlich, wie gravierend das Versagen bzw. die Umgehung des Aufsichtsrats sein kann. Zwar bestand formal ein Aufsichtsrat, jedoch her er seine Kontrollpflichten unzureichend wahrgenommen – insbesondere bei der Prüfung der Bilanzen und zentraler Entscheidungen des Vorstands. So wurden dort letztlich Bilanzen und Dividenden verabschiedet, deren Inhalte nicht ausreichend überprüft worden waren. Konsequenz war die gerichtlich festgestellte Unwirksamkeit, heute eine Säule der Anklagen gegen das Management.

5. Vergütungsentscheidungen für den Vorstand: Eigenmächtige Festlegung oder Veränderung von Vorstandsgehältern, Boni oder Abfindungen. Beispiel: Bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahr 2000 wurde u.a. heftig über millionenschwere Bonuszahlungen an Vorstände – etwa an den Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser – diskutiert. Der Vorwurf: Die Zahlungen seien ohne ausreichende Aufsichtsratsprüfung erfolgt und hätten den Aktiengesetz-Compliance-Rahmen möglicherweise überschritten. Strafanzeigen wegen Untreue, sowie das gesamte Zivilverfahren wurden letztlich eingestellt. Heute gibt es Claw-back-Klauseln in vielen Verträgen, die Rückforderungen einfacher werden lassen.

6. Strategische Richtungsentscheidungen: Grundlegende Strategieänderungen (zB Ausstieg aus einem Markt, Schließung von Werken), die eigentlich mit dem Aufsichtsrat abgestimmt werden müssten, markieren einen Graubereich. Zuletzt ist manchmal kaum ein Nachteil für ein Unternehmen festzustellen. Soll das Gericht entscheiden?

Juristische Folge: Neben der rechtlichen Anfechtbarkeit kommen zivilrechtliche oder gar strafrechtliche Haftungen. Der Aufsichtsrat kann den Vorstand abberufen oder abmahnen. Konsequenz: Für die Gesellschaft sind die Reputationsschäden durch solche Aktionen enorm. Der Vertrauenverlust bei Aktionären, der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern ist kaum zu beziffern. Geschäftsordnungen und Beschlüsse haben nicht umsonst einen gewissen Formzwang – es sind Ableitungen aus einer Vielzahl von Informationen, Kompromissen und Balancen im Vorfeld. Eine Missachtung dessen mag zwar im Einzelfall durchaus nachvollziehbar sein, der Beispieleffekt ist jedoch verheerend für den Aufsichtsrat und Vorstand.

Im Börsen-Kurier Nr. 30-31 am 24. Juli 2025 veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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