Sind wir wirklich überreguliert?

Darf man den EU-Bashing-Klassiker überhaupt in Frage stellen? Ein Wirtschaftsraum, der die Krümmung der Gurke zu regulieren wünscht, oder sich gar für den DSGVO-Klick-Irrsinn verantwortlich zeichnet, muss zwangsläufig in einem Überregulierungs-Nirvana stecken. Schnell ist ein unternehmerfeindliches und Innovation-hemmendes Meinungsfeld abgesteckt, in dem der Populismus wenig Widerworte erwarten kann. Die Extrembeispiele zerlegen jede vernünftige Diskussion. Ernsthaft: Ist es denn woanders, insbesondere in den USA, wirklich besser? Der Vergleich ist nicht so leicht, wie uns die öffentliche Diskussion teilweise glauben machen möchte. Beleuchten wir kurz den Anlegerschutz.

Regulatorischer Rahmen: Die EU zwingt in detaillierte und stark harmonisierte Vorgaben (MiFID II, MiFIR, PRIIPs, AIFMD, CRR/CRD etc.). Das Ziel: hoher Verbraucherschutz, Markttransparenz, Stabilität. Die US-Seite verwirrt mit fragmentierten Bundes-behörden (SEC, CFTC, OCC, FDIC usw.) zuzüglich bundesstaatlicher Regulierungen. Tendenziell mehr Marktflexibilität, aber teils redundante Zuständigkeiten. Eine Akronym-Party ohne erkennbare Vorteile.

Für den Anleger konkret, setzt die EU auf hohe Standards: Transparenzpflichten (z.B. Kostenausweise, Beratungsprotokolle). Strenge Regeln bei Derivaten, Anlageberatung, Wertpapierprospekten. Manche Kleinanleger sind von einigen Produkten gar ausgeschlossen. Ob die damit einhergehende Bürokratie dem Anleger mehr hilft als irritiert oder kostet, kann man im Detail diskutieren.

Die USA legen den Fokus auf „Disclosure“. Anleger erhalten viele Informationen, aber weniger Eingriff in die Produktauswahl. Letztlich ist es ein schwächerer Schutzmechanismus für unerfahrene Investoren, daher ein höherer Eigenverantwortungszwang – je nach Philosophie, ein Vor-/Nachteil der US-Regulatorik.

Die größte Diskrepanz ergibt sich bei der „Industriefreundlichkeit“. Beispiele: Im US-Markt existieren Venture Capital und Private Equity wirklich, d.h. mit wenig Beschränkung und hoher Flexibilität erreicht man schnell Zugang zu Risikokapital. Die Innovationsfreude bei Krypto, Fintech oder Finanzinstrumenten beflügelt die Entstehung eines großen Krypto- und Startup-Ökosystems. Solange Risiken offengelegt sind, dürfen Produkte gehandelt werden. Die USA genießen hier oft einen Frist-Mover-Vorteil. EU: Insbesondere die europäische MiFID II (gerade im Review) gilt als bürokratisch und teuer für Banken und Asset Manager. Hohe Compliance-Kosten belasten besonders kleinere Marktteilnehmer. Eine Industrie wirkt gehemmt.

Das Fazit: Die EU-Regulierung muss dem Bürger der Union helfen. Sie darf nicht Selbstzweck oder Schikane sein, weil sie den schwierigeren, langsameren Weg geht. In Zusammenarbeit mit der Finanzindustrie kann man sinnvolle Verbesserungen durchführen, die den Zweck von gut gedachten Regulierungen nicht aushöhlen. Das ist ein konstruktiver Überarbeitungsprozess von vorgeblicher (Über-)Regulatorik. Es sollte im Interesse der Anleger in Europa sein, den Schutz nachhaltig weiter zu verbessern und nicht im Trump‘schen Sinne mit dem Schlagwort Überregulierung rücksichtslos zu streichen.

Im Börsen-Kurier Nr. 37 am 11. September 2025 veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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