Gold Plating als „Mogelpackung“

Immer wieder wird „Gold Plating“, also eine übermäßige Umsetzung von EU-Richtlinien, mit einem sich daraus ergebenden Standortvorteil argumentiert. Bei diesem Verkaufsargument handelt es sich jedoch um eine „Mogelpackung“. Hohe Marktstandards in der Gesetzgebung ohne entsprechend zeitnaher Durchsetzbarkeit von auf diesen Gesetzen basierenden Ansprüchen für Unternehmen sind nicht nur „zahnlos“, sondern tödlich für jeden Wirtschaftsstandort.

Im Bereich der Wirtschaftskriminalität werden derzeit seitens der Staatsanwaltschaften Anträge von Geschädigten, wie beispielsweise auf Hausdurchsuchung, teilweise monatelang nicht bearbeitet. Danach werden die Verfahren nach Jahren „mangels Beweise“ eingestellt. Gleiches gilt für Zivilprozesse.

In der Bundeshauptstadt wartet man derzeit nach Einbringung einer Zivilklage Monate auf Verhandlungstermine. Die gesamte Verfahrensdauer eines Zivilprozesses unter drei Jahren ist eine Ausnahme, wenn sich die Parteien nicht aus Frustration über die Verfahrensdauern zu einem Vergleich „drängen“ lassen.

Wo liegt der Standortvorteil, wenn Unternehmen bei Gericht lediglich faule Vergleiche oder aufgrund der Verfahrensdauer jahrelange Rechtsunsicherheit erwarten können? Wo liegt der Standortvorteil, wenn Unternehmen nach Leistungserbringung im Bedarfsfall ihre Forderungen nicht zeitnah gegen ihre Kunden durchsetzen können? Wo liegt – abgesehen von der Moral – umgekehrt der Anreiz für den Kunden, diese Zahlungsverpflichtung vertragskonform zu bedienen, wenn er selbst im Falle einer Klage eine monatelange Stundung der Forderung erhält und vielleicht sogar durch einen „faulen Vergleich“ auf eine Reduktion der Zahlungsverpflichtung hoffen kann.

Leider handelt es sich dabei um keine Einzelfälle. Vielmehr ist es mittlerweile systembedingt. Ursache dafür ist die für einen Wirtschaftsstandort tödliche Mischung aus völlig ausufernder Überregulierung und gleichzeitige Budget- und Personaleinsparungen im Justizbereich.

Wenn Österreich an einem Wettbewerbsvorteil für Unternehmen interessiert ist, ist „Gold Plating“ definitiv der falsche Ansatz. Unternehmen müssen wieder darauf vertrauen dürfen, dass die bestehenden Gesetze mit Hausverstand auch im Interesse der Rechtsunterworfenen exekutiert werden. Ansonsten verlieren die Rechtsunterworfenen das Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit und damit Österreich seine Standortattraktivität.

Im Börsen-Kurier Nr. 28-29 am 09. Juli 2025 veröffentlicht von Dr. Georges Leser